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Märchen-Sagen-Seenland Oberlausitz und die Kultur der Sorben

Familienseminar des Ensheimer-Kreises 2012 in Bautzen

Es war einmal eine Gruppe guter Freunde, die sich Ensheimer-Kreis nannten, die sich auf der Suche nach schrecklichen, wundersamen und  geheimnisvollen Geschichten in  der Stadt Bautzen  in der Oberlausitz, der Heimat der Sorben, trafen….

Der Tagungsort, die Stadt Bautzen, obersorbisch Budyšin,  kann auf eine tausendjährige Geschichte zurückblicken wie Bürgermeister Michael Böhmer in seinem Vortrag u.a. ausführte.

Bautzen, im Bundesland Freistaat Sachsen, mit heute rund 40 000 Einwohnern, gilt als die historische Hauptstadt der Oberlausitz (sorbisch: Hornja Łužica,) und das kulturelle Zentrum der  Sorben.

Werfen wir einen Blick zurück in seine Historie: Die erste Erwähnung als „Civitas Budusin“ geht auf das Jahr 1002 zurück.

In ihrer wechselvollen Geschichte gehörte die Stadt zu Böhmen, Ungarn, Sachsen. Sie spielte  die wichtigste  Rolle im 1346 gegründeten Oberlausitzer Sechsstädtebund (Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau), der in der Form bis 1815 bestand.

Zahlreiche Zeugen dieser langen Geschichte findet man bei einem Gang durch die Altstadt. Eine Besonderheit unter den sieben Kirchen stellt der Petridom dar, ist er doch die älteste und eine der größten Simultankirchen Deutschlands.

Das heutige Bautzen nimmt auf Grund seiner Wirtschaftskraft regelmäßig der Spitzenplatz der sächsischen Städte ein. Bautzen hat einen ausgeglichene Haushalt und lediglich eine Pro-Kopf-Verschuldung von 130 €, wie der Bürgermeister erläuterte.

 In der Stadt konzentrieren sich auch die sorbischen Institutionen, so die Domowina, der Dachverband aller sorbischen Vereine und Vereinigungen.

Anmerkungen zu Sprache und Brauchtum der Sorben

Frau Maria Michalk, MdB und Sorbin, sollte daher die geeignete Referentin sein, um die Kultur der Sorben  vorzustellen.

Die Sorben (früher auch Wenden genannt)sind ein westslawisches Volk, das in der Ober- und Niederlausitz als nationale Minderheit anerkannt ist.

Obwohl  ohne „Gebietsautonomie“, haben sie ihre „Kulturautonomie“ erhalten, d.h. neben Sprache und Kultur haben sie auch eine eigene Flagge und Hymne:

Deutsch

Lausitz, schönes Land,

wahrer Freundschaft Pfand,

meiner Väter Glücksgefild,

meiner Träume holdes Bild,

heilig sind mir deine Fluren.

 

Obersorbisch

Rjana Łužica,
sprawna, přećelna,
mojich serbskich wótcow kraj,
mojich zbóžnych sonow raj,
swjate su mi twoje hona!

Während in der überwiegend katholischen Oberlausitz das Obersorbische noch Alltagssprache ist, hat sich das Niedersorbische in der evangelischen Niederlausitz sehr viel weniger erhalten.

Nach Schätzungen der Domowina gibt es noch 7000 aktive Sprecher des Niedersorbischen und rund 15 000 des Obersorbischen.

Hier  ein Sprachbeispiel dazu. Es sind die ersten Sätze des „Vaterunser“ auf Obersorbisch(A) und auf Niedersorbisch(B):

A)Wótče naš, kiž sy w njebjesach. Swjeć so Twoje mjeno. Přińdź Twoje kralestwo. Stań so Twoja wola, kaž na njebju, tak na zemi. Wšědny chlěb naš daj nam dźens.

B)Wóśce nas, kenž sy na njebju, wuswěśone buź Twójo mě; pśiź k nam Twójo kralejstwo; Twója wóla se stań ako na njebju, tak teke na zemi. Wšedny klěb naš daj nam źinsa.

Neben der Sprache sind  ein  weiterer wesentlicher Bestandteil der sorbischen Kultur die zahlreichen Brauchtümer, wie  die Vogelhochzeit, das Osterreiten oder die Marienfeste. Die künstlerisch gestalteten sorbischen Ostereier haben ebenso wie die Trachten  überregionale Bekanntheit erlangt.

Trotz dieser Unterschiede (die Eigenständigkeit der Sorben wurde auch explizit im Einigungsvertrag, Artikel 35, festgeschrieben!) entsprach  das deutsch-sorbische Verhältnis in der Geschichte ganz überwiegend einer „friedlichen Koexistenz“ durch die Zeiten.

  

Heutige sorbische Literatur,

Glücksdrachenpech, Märchen und Sagen aus der Lausitz

und der Sagen- und Legendenkreis um  die Figur des „Krabat“

Nachdem Herr Martin Schmidt (Hoyerswerdaer Kunstverein) seinen Streifzug durch 1000 Jahre sorbisch-deutsche Literatur präsentiert hatte, stand die Lesung  von Róža Domašcyna  (geb. am 11. August 1951 in Zerna, Landkreis Kamenz, eine sorbische Lyrikerin und Übersetzerin)  im Mittelpunkt des Interesses. Frau Domašcyna  gehört zu den bedeutendsten Vertretern der modernen sorbischen Literatur. Kennzeichen ihres Schaffens  ist eine poetische Verknüpfung des Sorbischen und Deutschen. Sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, erhielt 1998 den Anna-Seghers-Preis und 2002 das Calwer Herrmann-Hesse-Stipendium. Literatur von ihr und über sie findet man z.B. im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.

Stand dieser literarische Exkurs ganz in der Tradition der sorbisch-deutschen Kultur, so erzählte Frau Ingrid Annel (Ingrid Annel, Glücksdrachenpech, von Wassermännern, Drachen und Irrlichtern, Bertuch Verlag, Weimar 2012) uralte Märchen und Sagen aus der Lausitz neu. Typische Protagonisten sind Wassermänner, Nixen und Irrlichter, was sicherlich mit den unzähligen Seen und Sümpfen der Lausitz zusammen hängt. Frau Annel ist Autorin von „Geschichten und Gedichten für Kinder und Historischem, Biographischem, Märchenhaftem und Unterhaltsamen für Erwachsene“                                   (Bertuch Verlag, Autorenvorstellung).

Ein Prinzip das bei den  Famlienseminaren des Ensheimer-Kreises stets beachtet wurde und wird, besteht darin, dass neben der Theorie auch die Anschaulichkeit  nicht zu kurz kommen darf.

Dies zeigte sich dann beim Besuch der Krabatmühle in Schwarzkollm bei Hoyerswerda.

Zum besseren Verstehen  hier eine kurze  Einführung in den Legenden- und  Sagenkreis um die Figur des Krabat.

Krabat ( abgeleitet von Hrvat-Kroate) geht auf die historische Person des Reitobristen Johannes Schadowitz(1624-1704) zurück, der ob seiner Verdienste im Feldzug gegen die Türken(1691) von Kurfürst Johann Georg III. das Gut Groß Särchen bei Hoyerswerda geschenkt bekam. Wegen seiner Fremdartigkeit wurden ihm von der Landbevölkerung  Zauberkräfte zugeschrieben.

Aus dieser historischen Wurzel haben sich in der Folgezeit zahlreiche Sagenvarianten entwickelt.

In der ältesten Fassung (1837) ist Krapat der „böse Herr von Groß-Särchen“. In einer anderen Fassung fliegt er mit der Kutsche durch die Lüfte, wobei dabei der Kirchturm von Kamenz zu Schaden kam.

In der bekanntesten Fassung aus dem 17./18. Jahrhundert, ist Krabat ein sorbischer(!) Betteljunge, der in der Schwarzen Mühle  bei Schwarzkollm (sorbisch Čorny Chołmc) die Macht des Meisters bricht, der mit dem Teufel einen Bund eingegangen war.

Bekannte moderne Fassungen des Stoffes stammen von Jurij Brězan und Otfried Preußler. Verfilmt wurde die Erzählung zuletzt 2008 nach der Vorlage von Preußler.

Im Erlebnishof  Krabat-Mühle (www.krabatmuehle.de) in Schwarzkollm entsteht eine Erlebniswelt um die Figur des Krabat. Hier konnten die Kinder und die phantasiebegabten Erwachsenen bei dem Besuch eine realitätsgewordene Sagenwelt „begreifen“.

Krabat und der schwarze Müller sind offizielle Botschafter der Oberlausitz.

 

 

Heutige Märchen- und Mythenrezeptionen

Nach so vielen  märchen- und sagenhaften Geschichten, stellte Frau Univ.-Prof. Dr. habil. Karin Richter,  emeritierte Universitätsprofessorin für Kinderliteratur und literarische Erziehung an der Universität Erfurt (Karin.Richter@uni-erfurt.de) in ihrem  Vortrag eine  aktuelle Rezeption  von Märchen und Mythen vor.

Ihre empirischen Untersuchungen lassen sich in folgenden Kernaussagen zusammenfassen:

-          Abenteuerliteratur wird sowohl von Mädchen als auch Jungen deutlich gegenüber realistischer Literatur bevorzugt,

-          Jungen favorisieren phantastische Geschichten(Harry Potter, Percy Jackson, Gregs Tagebuch), steigen aber  schon in der GS aus Märchen aus, hier wäre eine „Übertragung“ dieser „modernen Mythen“ auf „klass. Mythen“(Herakles, Trojanischer Krieg, Daidalos und Ikarus) ein Denkansatz, dieses Genre zu vermitteln,

-          Märchen zeigen sowohl einen interkulturellen Kontext, z.B. Dornröschen auf deutsch (Brüder Grimm, 1812), französisch (Charles Perrault, 1697, „Die schlafende Schöne“) oder italienisch    (Giambattista Basile, 1634, Sonne, Mond, Thalia) aber andererseits  auch spezifisch regionale bzw. kulturelle Eigenheiten, z.B. unterschiedliche Zauberwesen wie Feen, Trolle, Drachen oder „Verkehrsmittel“ wie Kutschen, Fliegende Teppiche oder Boote.

Exemplarisch zeigte sie  dann an „Dornröschen“ das darin zu findende zeitgebundene bzw. zeitübergreifende  Sinnpotential auf, das beim oberflächlichen Lesen kaum wahrgenommen wird.

Solche Grunderfahrungen  sind in diesem Märchen z.B.:

-der Kinderwunsch

-der Wunsch, dass es dem Kind gut geht

-die Abwehr von Gefahren(Spindeln werden verbrannt)

-warten auf den „Richtigen“(100 jähriger Schlaf)

-Erfüllung der Träume(Hochzeit, glückliches Leben).

 

 

 

 

 

 

 

„… und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen.“

200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm im Diskurs

Frau Dr. Claudia Pecher, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt (pecher@em.uni-frankfurt.de), wurde in ihren überaus  lebendigen Ausführungen dem Anspruch eines Diskurses („methodisch aufgebaute Abhandlung“, Duden) in jeder Beziehung gerecht.

1812/1815 erschienen die „Kasseler Handexemplare“ der Gebrüder Grimm, 200 Jahre später ist das Interesse darin ungebrochen. So überschwemmen  Märchenfilme, Märchenbücher, Märchenmangas, Märchenkrimis oder Märchen-Apps den Markt. Häufig, so die Referentin, zeigen diese Produkte kaum mehr Ähnlichkeit mit den originären Texten, geschweige, dass sie deren inhaltlicher Komplexität  gerecht werden.

Grimms Märchen sind nach der Lutherbibel die wichtigsten Wurzeln der deutschen Sprache. Ihre Märchen besitzen religiöse Grundzüge und zeigen Konfliktlösungen auf. Wilhelm Grimm hat die  Kinder- und Hausmärchenganz  bewusst als „Erziehungsbuch“ betrachtet.

Frau Dr. Pecher verdeutlichte den Aspekt  des christlichen Gedankengutes(Gottesfurcht, Demut, Geduld, Treue, gute Hoffnung“) am Märchen „der Froschkönigs oder  der eiserne  Heinrich.“

Biblischer Provenienz sind die häufig zu findenden  Ausrufe:“… dass Gott es wolle.., ach Gott…, dass Gott mir helfe..so helfe mir Gott….“.  Auch der strafende Gott  wird beschrieben, so z.B. in dem Märchen „Das eigensinnige Kind“(KHM 117,1857).

Ein weiterer Aspekt, der in Märchen oft verborgen bleibt, ist der ikonographische Kontext.

So geht  in „Jorinde und Joringel“(KHM 69, 1857) das Bild der „blutroten Blume mit großer Perle“ zurück  auf „Heinrich Stillings Jugend“, den von Goethe veröffentlichten  Lebenserinnerungen von Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling. Hier begegnet  der Protagonist seiner verstorbenen Frau, die ihm mit der „blutroten Blume“ die Angst vor dem Sterben nimmt. Die „rote Blume“  ist auch ein Zeichen der „Minne“ und sie weißt auf die „rosa caritatis“, die in der marianischen Rosensymbolik  wieder zu finden ist.

Auch im „Teufel mit den goldenen Haaren“(KHM 29,1819) werden solche Archetypen wie der Brunnen, der  Baum und  der Fährmann ersichtlich.

Die „Erzählstoffe“ der Gebrüder Grimm  wurden von Frau Dr. Pecher in drei Kategorien eingeteilt:

1.      Paraphrasen biblischer Geschichten wie in: Die ungleichen Kinder Evas(KHM 180,1843),

2.      Fallbeispiele gemäß der protestantischen Exempelpraxis wie in: Das Marienkind (KHM 3,1812), König Drosselbart(KHM 52,1812), Der alte Großvater und der Enkel(KHM 78,1812) oder Die Sternthaler(KHM 153, 1819),

3.      Parodien wie in: Von dem Fischer un syner Fru(KHM 19,1812) oder Die Bremer

Stadtmusikanten(KHM 27, 1812).

Zieht man ein Resümee dieser Ausführungen, so zeigt  sich  in den Grimmschen Märchen  ein ungeheurer Reichtum an historischen, linguistischen, christlichen und pädagogischen Aspekten, die sich vom Leser erst bei genauer  Analyse erschließen lassen.

Mein persönliches Urteil am Ende der Woche – und ich glaube, dass ich hier die Meinung der großen Mehrheit der Teilnehmer wiedergebe – lautet ganz einfach, dass es  eine rundum gelungene Veranstaltung war, mit hervorragenden Referentinnen/Referenten zu einem interessanten Themenkomplex, einer historisch und kulturell  außergewöhnlichen Region, einem guten Hotel und  der freundschaftlichen Atmosphäre mit- und untereinander.

….. und so fuhr ein Teil der Freunde nach dieser  „märchenhaft“ schönen Woche wieder zurück nach Hause, ein anderer „nóó dehemm“!

Alle waren dabei wieder  mit viel Neuem, Schönem, Wissenswertem  und Interessantem bereichert worden………….und wenn sie nicht gestorben sind, wollen sie sich 2013 wieder im Ruhrgebiet treffenJ!