Herbert Kihm
20 Jahre Mauerfall – friedliche Revolution 1989/1990
Dies war der Titel einer Bildungsveranstaltung des „Ensheimer-Kreises“ im Märkischen Oderland vor den Toren Berlins.
Der „Ensheimer-Kreis“, 1970 aus einer Wählerinitiative für Prof.Dr. Rohde gegründet, versteht sich als parteiübergreifende Institution und setzt sich aus politisch und sozial engagierten Bürgern der alten und neuen Bundesländer zusammen.
Aus der Fülle der Lesungen (z.B. Lutz Rathenow) und Vorträgen sollen hier aus den Beiträge von Adepten , die in die Vorgänge involviert waren oder die Abläufe aktiv mitgestalteten ein lebendiges Bild dieser historischen Umwälzungen vermittelt werden. Logischerweise spiegeln die Sichtweisen und Beurteilungen persönliche Erfahrungen wider, sind dafür jedoch von einer einmaligen Authentizität gekennzeichnet.
Die Rolle der westlichen Medien
Lothar Loewe (ehemaliger ARD Korrespondent undspäterer Intendant) stellte an den Beginn seines Beitrages , die Nachricht, dass der Bürgermeister von Prenzlau, Moser, noch in diesem Jahr den Orden „Banner der Arbeit“ – noch von Honnecker unterzeichnet – verliehen habe, ein Zeichen für ihn, dass die innere Einheit noch nicht überall angekommen ist.
Was die Rolle der westlichen Medien bei dem Prozess angeht, so waren in erster Linie Fernsehen und Radio von Bedeutung, da westliche Printmedien in der DDR verboten waren und auch nur unter großer Gefahr(und in kleinen Mengen) eingeschmuggelt werden konnten.
Seit 1961 konnte das ARD aus der „Zone“ berichten und bis 1973/74 war dies auch noch relativ frei möglich, da der STASI noch nicht sehr effektiv arbeitete.
Wichtigste „Kontaktbörse“ dabei war die jährliche Leipziger Messe. Die Westnachrichten wurden für die DDR-Bürger zur wichtigsten Nachrichtenquelle, da sie ein „ungefiltertes“ Bild ihres Staates lieferten.
Dies führte dann jedoch zur Ausweisung Loewes am 24.12.76 aus der DDR wegen „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“, die ungehinderte Berichterstattung wurde in der Folge immer schwieriger.
Das Resümee Loewes: „ Die Berichterstattung von Rundfunk und Fernsehen hat einen dicken Nagel in den Sarg der DDR geschlagen. Darauf darf das öffentlich rechtliche System mit Recht stolz sein.“
19 Jahre Wiedervereinigung – Anspruch und Realität,
so lautete das Thema über das Frau Dr. Bergmann-Pohl (letzte Volkskammerpräsidentin und amtierendes Staatsoberhaupt in der Endphase der DDR) referierte.
Sie stellte heraus, dass noch am 13.3.89(!) im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Alternativer Liste in Berlin sinngemäß zu lesen war:“- dass ein europäischer Friedensvertrag nur möglich sein wird mit 2 Staaten“.
Am 23.3.90(!) beschloss dann um 2:30h die Volkskammer den Beitritt zum Grundgesetz der Bundesrepublik, nach Bergmann-Pohl eine herausragende historische Leistung in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.
Dass dennoch bis heute Friktionen geblieben sind, hat nach ihrer Meinung folgende Ursachen bzw. Gründe:
-Der Werteverfall war im Osten stärker als im Westen,
- die Prägekraft des Kommunismus reichte weit über den Zusammenbruch der DDR hinaus,
- die PDS wird nicht als Nachfolgerin der SED wahrgenommen,
- trotz enormer Aufbauleistungen steht trennend zwischen Ost und West die Massenarbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit in manchen Regionen und das Gefühl „Bürger zweiter Klasse“ zu sein.
Martin Michael Passauer , Generalsuperintendent a.D. , prädestiniert
die Rolle der Kirchen zur Zeit der friedlichen Revolution
darzulegen, betonte einleitend, dass er Wert lege auf den Begriff“ protestantisch“ , denn „evangelisch“, d.h. auf das Evangelium bezogen, seinen viele Kirchen. Geprägt durch sein Elternhaus habe er immer auf die „revolutionäre Kraft“ des Glaubens gesetzt.
Zehn Tugenden der protestantischen Kirche machten ihren unbestrittenen Beitrag zur friedlichen Revolution aus, so seine Aussagen:
1. Die Rituale: Fasten und Beten machten innerlich unabhängig von den staatlichen Repressalien.
2. Der Pazifismus: dies war der stärkste Beitrag, da der Staat „machtlos“ gegenüber der Friedfertigkeit war.
3. Die Autorität der Kirchenoberen: dies entsprach dem Hierarchieverständnis der Genossen:“Hast du den Pfarrer, hast du die Gemeinde!“
4. Die Gemeinschaft der Kirchen: die hohe Solidarität untereinander(„Netzwerk Kirche“) machte die Suche nach „Rädelsführern“ schwer.
5. Das Instrumentarium der Kirchen: die Räume und Gebäude waren in hohem Maße für die Staatssicherheit unzugänglich.
6. Die soziale Kompetenz der Kirchen: Die Kirche gab den Menschen eine Stimme gegenüber der Staatsführung.
7. Die Medien der Bundesrepublik als Partner: die „Westmedien“, die ein hohes Maß an Vertrauen genossen und Hintergrundinformationen bekamen, waren eine starke Waffe, das sie Informationen an die Ostbürger vermittelten.
8. Die Bindungen der Kirchen: regelmäßige Ost-West-Kirchenkontakte sorgten für gegenseitiges Vertrauen.
9. Das synodale Prinzip der Kirchen: durch die demokratische Struktur und kollegiale Leitung war die Kirche „demokratieerfahren“:
10. Die Kirche und ihre Auftrag:“Kirche ist immer Kirche für andere, sonst hört sie auf Kirche zu sein“(Bonhoeffer), d.h. Kirche hat sich einzumischen.
Die katholische Kirche hat diesen Prozess nicht so offen begleitet (Hierarchieprinzip), die Rolle des polnischen Papstes bei dem Gesamtprozess im Ostblock ist jedoch bekannt. Auch war den Machthabern das Festhalten an den historischen Bistumsgrenzen stets ein Dorn im Auge.
Passauer stellte in seinem Schlusswort fest, dass wohl die historische Aufarbeitung gelungen sei, nicht jedoch die emotionale.
Diese Einschätzung teilte auch Vera Lengsfeld(seit 1981 in der Bürgerrechtsbewegung der DDR, Mitglied der letzten Volkskammer und bis 2005 MdB)in ihrem Beitrag:
Aufklären statt Weichspülen.
Ihre pointierten Aussagen, verständlich aus ihrer Vita, gingen scharf ins Gericht mit der Ex-SED und ihrer heutigen Nachfolgerin.
Gleich mit welchem Namen sie sich auch tarnte– SED, SED/PDS, Linkspartei oder dann nur PDS, außer Lafontaine ist es nach ihrer Meinung die alte Garde (Lothar Bisky:“Wir wollen den (System)Wechsel!“) der SED. Ihr Chefideologe und -stratege Andre Brie erkannte sehr früh, dass nur die Ausdehnung nach Westen das Überleben der Partei ermöglichen wird – der Verdienst eines Saarländers: Oskar Lafontaines!
Der Beitrag Gregor Gysis zum Überleben der Partei ist die Rettung von deren Finanzen. Am 13.12.89 hielt er auf dem Parteitag der SED den Genossen, die eine neue Linke gründen wollten entgegen, dass .. „ in der juristischen Sekunde (der Auflösung) der gesamte Besitz verloren sei“. Im Februar 1990 wurde dann das „SED“ aus dem Namen gestrichen, das enorme Vermögen der SED war gerettet.
Vera Lengsfeld kritisierte auch sehr hart das „mediale Weichspülen“ der „alten DDR“.
Erwähnenswert sei hier z.B. die weitgehend kritiklose Übernahme des Ergebnisses einer Befragung, in der festgestellt wurde, dass das Gesundheitssystem der DDR sehr effektiv gewesen sei. Verschwiegen wurde dabei, dass es dabei in der DDR gerade hierbei ein echtes Klassensystem gegeben habe: modernste Krankenhäuser für die Funktionäre oder sehr gute Krankenhäuser nur für die Volksarmee und Krankenhäuser für die Volksgenossen. Deutlich sei auch nicht geworden, dass die Befragung von der „Volkssolidarität“(!) in Aufrag gegeben worden sei und die „repräsentative“ Umfrage ca. 1030 Bürger erfasst habe- was dem Begriff „repräsentativ“ formal entsprach.
Zu diesem „Weichspülen“ gehöre auch die Darstellung der DDR-Wirtschaft. Laut Schürer- Gutachten, das Egon Krenz im Oktober 1989 in Aufrag gab, war die DDR faktisch bankrott (75% der industriellen Produktionsmittel seien veraltet, 65% der landwirtschaftlichen Produktionsmittel ebenso). Laut Schürer –Gutachten hätte der Lebensstandart der DDR-Bevölkerung auf 30% gesenkt werden müssen, um den Substanzerhalt zu ermöglichen. (Die Studie sollte bis Dezember 1989 vernichtet werden, fand sich jedoch in den Stasi-Akten).
Lengsfeld plädierte entschieden für eine Berichterstattung nach der Maxime: „Fakten statt Legenden!“. Nur so sei der „Ostalgie“ und damit auch der PDS bei zu kommen.
Wie „unbewältigt“ die Vergangenheit in der Tat ist, zeigte für mich die Reaktion einiger Tagungsteilnehmer aus den neuen Bundesländern nach dem Besuch des STASI-Gefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen. Es war teilweise pure Fassungslosigkeit, dass es „sowas“ in „ihrem“ Staat gegeben hat, wobei die Führung durch eine ältere Dame, „Zeitzeugin“, da jahrelang dort unter menschenverachtenden Bedingungen inhaftiert , tiefe Betroffenheit hinterließ.